Die Frömmigkeit
Die Frömmigkeit ist eine Tugend, welche macht, dass wir uns unsere Pflichten gegen Gott auf eine würdige Weise erledigen. Wir entledigen uns ihrer auf eine würdige Weise, wenn wir sie mit Ehrfurcht und Eifer erfüllen; denn die unendliche Majestät Gottes, seine unermessliche Güte fordern von uns, dass wir ihm die ehrfurchtsvollste Huldigung darbringen und dass wir es uns aufs Dringendste angelegen sein lassen, ihm zu dienen, wie er es verlangt.
Ein Lehrer muss die Tugend der Frömmigkeit in einem hervorragenden Grade besitzen, d.h. seine Frömmigkeit muss eine innere und aufrichtige sein; sonst wäre er nur ein Heuchler. Sie muss in die Augen fallen und musterhaft sein, weil er nach außen hin die Gefühle muss durchscheinen lassen, wovon sein Herz durchdrungen ist.
Was, in Wahrheit, ist ein christlicher Lehrer, beauftragt mit der Erziehung der jungen Leute? Es ist ein Mann, dessen Händen Jesus Christus eine gewisse Anzahl Kinder anvertraut hat, die er mit seinem Blute erkauft und für die er sein Leben gegeben hat, in welchen er wohnt, wie in seinem Hause und in seinem Tempel, die er ansieht als seine Glieder, als seine Brüder und Miterben, welche mit ihm herrschen und durch ihn Gott verherrlichen sollen alle Ewigkeit hindurch. Und zu welchem Ende hat er sie ihm anvertraut? Etwa um eben nur gute Schreiber, große Arithmethiker, geschickte Rechenmeister, Mathematiker, Gelehrte daraus zu machen? Wer möchte solches sagen oder nur denken? Er hat sie ihm anvertraut, um in ihnen den köstlichen und unschätzbaren Charakter der Unschuld, welche er ihrer Seele durch die Taufe eingeprägt hat, zu bewahren; um gute Christen daraus zu bilden: alles Übrige dient nur als Mittel dazu.
Hieraus folgt, dass ein Lehrer sehr große Sorge tragen muss, sie zur Religion zu bilden. Er wird somit, wie wir bereits anderswo gesagt haben, beflissen sein, sie in den Geheimnissen des Glaubens, insbesondere denen, die sie aus Notwendigkeit des Mittels ausdrücklich (explicite) glauben müssen, im apostolischen Glaubensbekenntnis, in den Wahrheiten, die sich auf das praktische Leben beziehen, z.B. die Gebote Gottes und der Kirche, die zur heilsamen Empfang der Sakramente erforderliche Herzensstimmung u. f. w. unterrichten.
Er wird ebenfalls nicht unterlassen, zu ihnen zu reden von Taufgelübden, von den Widersagungen, die sie beim Empfange dieses Sakramentes angelobt, von der Hochachtung, die sie davor haben sollen, von den Gnaden, die sie darin erlangt und von dem was sie zu tun haben, um sie zu bewahren.
Er wird ihnen, was die Verpflichtung, dem Gottesdienste, der heiligen Messe an Sonn- und Festtagen beizuwohnen, anlangt, die köstlichen Früchte, welche sie aus täglicher Beiwohnung derselben ziehen werden, die Art und Weise, diese wichtige Handlung vorzunehmen und sich in der Kirche sowohl in Bezug auf das Innere als auf das Äußere zu verhalten, erklären.
Er wird sie belehren, wie notwendig das Gebet ist, wie und zu welcher Zeit man diese wesentliche Pflicht erfüllen soll, wie des Morgens, des Abends und in unzähligen andern Umständen des Lebens. Er wird von ihnen fordern, dass sie die gewöhnlichen Gebetsformeln kennen und beim Hersagen dieselben gehörig und deutlich aussprechen.
Er wird ihnen zeigen, wie sie ihre Handlungen dadurch, dass sie dieselben Gott darbringen und seine Hilfe begehren, um sie gut zu verrichten, verdienstliche machen sollen, ferner wie sie sich die Leiden, die Trübsale zu Nutze machen, in Krankheiten und andern traurigen Vorkommnissen dieses Lebens sich mit Ergebung in den Willen Gottes unterwerfen, wie sie sich ihrer Standespflichten entledigen, sich von den Gelegenheiten zur Sünde fern halten, für andere nie Gegenstände des Ärgernisses u. f. w. sein sollen.
Er wird sie gehörig die christlichen und sittlichen Tugenden, den Glauben, die Hoffnung, die Liebe, die Gerechtigkeit, Güte, Geradheit des Herzens, Weisheit, Klugheit, Stärke, Mäßigkeit, Bescheidenheit in allen ihrer Reden und ihrem ganzen Benehmen, die Achtung und Unterthänigkeit, welche sie den geistlichen und bürgerlichen Obrigkeiten schuldig sind, die Unsterblichkeit der Seele, die letzten Dinge des Menschen, die Gnade, die Sünde u. f. w. kennen lehren.
Er wird ihnen nicht allein eine gründlichen Frömmigkeit gegen Gott und unsern Heiland Jesus Christus sondern auch eine besondere Andacht gegen die seligste Jungfrau, gegen den heiligen Joseph, gegen ihren Schutzheiligen, ihren Schutzengel einflößen; indem er sie über die Beweggründe dieser Andacht belehrt, diejenigen, welche sich mit mehr Neigung derselben hingeben, belohnet.
Er wird, bei schicklichen Umständen, gewisse frappante Züge aus dem Leben der Heiligen und berühmter Männer einstreuen. Die guten Beispiele machen an und für sich selber mehr Eindruck auf den Geist der Kinder als lange, selbst die vernünftigsten Reden.
Endlich wird er ihnen unaufhörlich die Pflicht einschärfen, die ihnen obligt, ihr Seelenheil allen Andern vorzuziehen; und vermöge aller dieser Belehrungen, wird er in ihnen die Eigenschaften anbilden, welche den guten Christen, den guten Bürger, den guten Familienvater, den guten Vorgesetzten, den guten Krieger, den guten Handelsmann u. f. w., je nach den verschiedenen Ständen, zu welchen jeder von der göttlichen Vorsehung wird berufen sein, ausmachen.
Aber vergessen wir nicht, hier zu bemerken, dass, besonders um die Kinder in der Religion zu unterrichten, man, wie bereits gesagt, den Unterricht verschiedenartig einrichten und vereinfachen muss, je nach ihrem Bedürfnis; dass es nicht genug ist, sie täglich den Katechismus lernen und wiederholen zu lassen, sondern dass man ihnen die darin enthaltene Lehre durch klare und sachliche Erklärungen entwickeln müsse. Wenn ein Lehrer dieses Verfahren einhält, wenn er den Beispiele aller Tugenden es stützt, so wird er unfehlbar die größten Früchte erzielen.
Übrigens ist es nicht notwendig, zu bemerken, dass alle Übungen der Frömmigkeit mir Ehrfurcht, mit Bescheidenheit, mit einer innerlichen und äußerlichen Sammlung geschehen müssen. Man darf somit Nichts dabei erlauben noch zulassen, was von dem darauf zu verwendenden Fleiße abziehe. Man muss auch darauf bestehen, dass die Kinder in der Kirche Bücher in der Hand haben und dass sie immer darin lesen.
Das sind die vornehmsten Gegenstände, worüber ein Lehrer die Kinder unterrichten soll. Aber, noch einmal, würde er ihnen wohl eine ähnliche Erziehung geben und sie vollkommen zu einem christlichen Leben bilden können, wenn er nicht selbst von alle dem, was er sie lehrt, erfüllt wäre? Wir hatten also Recht, wenn wir sagten, seine Frömmigkeit müsse eine hervorstechende sein; aber um sie gründliche zu machen, wird er gewiss nicht ermangeln, Jesus Christus zu seinem Vorbild, die Sittenlehre dieses göttlichen Heilandes zum Grund und Ursprung seiner Aufführung zu machen. So wird er die Güter dieser Erde, die vergehen; die Lobsprüche der Menschen, denen nichts Wesenhaftes innewohnt; die Vergnügungen der Welt, welche nur Gefahren und Täuschung sind, verachten.
Ein Lehrer würde gegen die Frömmigkeit fehlen, wenn er von Gott nur obenhin spräche, ohne Geschmack und ohne von den Wahrheiten der Religion durchdrungen zu sein, wenn er das Gebet mit Übereilung, ohne Pause, zu laut, ohne Bescheidenheit, ohne Ehrfurcht, ohne Aufmerksamkeit selbst hersagte oder hersagen ließe, wenn er gewisse Andachtsübungen vernachlässigte oder ohne Fleiß, ohne Glut verrichtete, als da sind, Weihwasser nehmen, das Kreuzzeichen mache, die Hände falten, sich verbeugen, sich zur schicklichen Zeit und an schicklichen Orten auf die Knie setzen, besonders aus Scham vernachlässigte oder ohne Fleiß und Inbrunst verrichtete.
Übe Dich in der Gottseligkeit …. Sie ist zu Allem nützlich und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens. 1.Tim. 4, 7 u. 8.
Strebe sorgfältig, Dich selbst Gott zu erweisen als einen bewährten Arbeiter, der sich nicht schämt seines Amtes. 2. Tim. 2, 15.
Zwölf Tugenden eines guten Lehrers, von de la Salle. Deutsch von Dr. Heinrich Rütjes. Münster, 1847. Druck und Verlag der Theissing´schen Buchhandlung.
„Die Frömmigkeit ist eine besondere Form der Wahrhaftigkeit. Den frommen Menschen erscheinen Welt und Leben wie ein klassisches Drama, aber ohne das satirische Nachspiel.“
Thomas Garrigue Masaryk