GERECHTIGKEIT

Der Begriff der Gerechtigkeit bezeichnet einen idealen Zustand des sozialen Miteinanders, in dem es einen angemessenen, unparteilichen und einforderbaren Ausgleich der Interessen und der Verteilung von Gütern und Chancen zwischen den beteiligten Personen oder Gruppen gibt.

Gerechtigkeit wird weltweit als Grundnorm menschlichen Zusammenlebens betrachtet; daher berufen sich in allen Staaten Gesetzgebung und Rechtsprechung auf sie. Sie ist in der Ethik, in der Rechts- und Sozialphilosophie sowie in der Moraltheologie ein zentrales Thema bei der Suche nach moralischen und rechtlichen Maßstäben und für die Bewertung sozialer Verhältnisse.

Die vier Kardinaltugenden: Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Starkmut.

“Barmherzigkeit ist leichter zu üben als Gerechtigkeit.“
Sully Prudhomme

Tugenden.de und Tugenden.com

Die Gerechtigkeit

§ 1. Begriff und Einteilung

Entsprechend den verschiedenen Bedeutungen des Wortes „Recht“ wird auch das Wort „Gerechtigkeit“ in mehreren Sinne gebraucht. Im eigentlichen Sinne als Rechtstugend (virtus circa jus) und Kardinaltugend ist Gerechtigkeit die beständige Geneigtheit, die Rechtsordnung einzuhalten, oder jedem sein Recht zu gewähren.

Ein dreifaches schließt darnach der Begriff der Gerechtigkeit in sich:

  1. Eine Scheidung der Personen, des Verpflichteten und Befugten – est virtus ad alterum;
  2. ein wirkliches Rechtsverhältnis mit Anspruch und Pflicht – reddens debitum legale (seu juris);
  3. eine Abgleichung von Schuld und Leistung – ad aequalitatem.

Naturgemäß gliedert sich die Gerechtigkeit entsprechend den tatsächlichen Verhältnissen menschlichen Gesellschaftslebens – als Gewähr der Rechte der Gesamtheit sowohl wie jener der Untergebenen und der Rechtsgenossen unter sich

  • in gesetzliche Gerechtigkeit (justitia legalis) – seitens der Untergebenen gegen die Gesamtheit;
  • in austeilende Gerechntigkeit (justitia distributiva) – durch verhältnismäßig gleiche Belastung der Untergebenen seitens der Obrigkeit;
  • in ausgleichende Gerechtigkeit (justitia commutativa) – für die Beziehungen der Rechtsgenossen als solcher zu einander.

Da bei letzterer Art offensichtlich (insbesondere für wirtschaftliche Beziehungen) die Merkmale des Begriffes Gerechtigkeit an vollkommensten sich finden (nämlich völlige Scheidung der Personen, genau bemessene Schuld und arithmetischer Ausgleich von Anspruch und Leistung – medium rei) kann sie schlechthin und im eingsten Sinne als Gerechtigkeit bezeichnet werden.

Die Strafgerechtigkeit (justitia vindicativa) braucht nicht als eigene Art der Gerechtigkeit angenommen zu werden.

§ 2. Die Verpflichtung der Gerechtigkeit

Die Verpflichtung der Gerechtigkeit ist im allgemeinen mit Rücksicht auf die Bedeutung dieser Tugend für die Gesamtheit und den einzelnen eine schwere; eine Verletzung derselben zieht Restitutionspflicht nach sich, wenn und soweit es sich um kommutative Gerechtigkeit handelt. Die spezifische Unterscheidung der Rechtsverletzungen ist herzuleiten aus der Verschiedenheit der Rechte oder Rechtstitel, welche verletzt werden.

Buch: Die Tugend der ausgleichender Gerechtigkeit unter besonderer Berücksichtigung des Bürgerlichen Gesetzbuches für Deutschland, Dr. Karl Kiefer, Jahr 1905

7189 Aufrufe             1 Aufrufe heute